Mittwoch, 10. Juni 2020

"Steve Reinke. Butter", 6.03. -26.10.2020, mumok, Wien


Ausstellungsansicht/Exhibition view
Steve Reinke. Butter
6. März bis 21. Oktober 2020
Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin
Photo: Stephan Wyckoff, ©mumok


„Mein Werk will mich tot sehen, so viel ist sicher. Es spricht über nichts anderes“, schreibt Steve Reinke in einem Briefwechsel anlässlich seiner Ausstellung im mumok. Tod und Leben, Empathie und Grausamkeit, Sex und Intimität, aber eben auch das unbehagliche Verhältnis des Autors zu seinem Werk sind Themen, die Reinke (geb.1963 in Eganville, Kanada; lebt in Chicago,USA) in seiner Arbeit beschäftigen.
In bester nietzscheanischer Manier betrachtet er den Menschen allerdings nicht als politisches oder moralisches Wesen, sondern als Spielball mikrobiotischer Agenden: Anstelle eines freudianischen Ich oder Es bestimmen in seinen jüngeren Videos Bakterien, Plazenta und Plankton den Lauf der Welt, und „Kultur“ beschreibt nicht humanistische Exzellenz, sondern Leben aus der Petrischale.



Ohne Titel (Stickerei) / Untitled (needlepoint), 2017, Courtesy der Künstler und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, © mumok


Butter, die erste museale Einzelpräsentation des Künstlers überhaupt, zeigt Reinkes neueste Videoarbeit An Arrow Pointing to a Hole sowie eine Auswahl seiner sinistren Textbilder und gedankenverlorenen Stickereien, die auf paradox präzise Weise von Kontrollverlust, Formlosigkeit und Selbstvergessenheit erzählen. Als Künstler und Autor ist Reinke vor allem für seine monologbasiertenVideoarbeiten bekannt, darunter die Serie The HundredVideos (1989–1996), die er programmatisch als „Frühwerk“anlegte. In diesen insgesamt fünf Stunden Filmmaterial verwischt Reinke die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion, indem er gefundene, gefilmte und animierte Bilder mit bekennerhaften Kommentaren versieht und so die narzisstische Struktur unserer heutigen sozialen Medienlandschaft vorwegnimmt.
2006 beginnt Reinke einen neuen Zyklus mit demTitel Final Thoughts, zu dem auch die im mumok präsentierte Arbeit zählt und der erst mit dem Tod des Künstlers abgeschlossen sein wird. Geht es zuvor oft um Fragen der Libido und des Eros, also um das Leben fortschreibende Prinzipien, stehen in Final Thoughts ihre Gegenspieler im Mittelpunkt. Reinke widmet sich dem Ende von Dingen – von Sprache, Bewusstsein und Erfahrung – und damit auch der eigenen Person. In der nächtlichen Monologszene von An Arrow Pointing to a Hole ist der Künstler zwar physisch omnipräsent – als Gesicht, als sonore Stimme und als tätowierter Körper –, ein Jenseits der nackten Manifestation wird jedoch kategorisch infrage gestellt. 



Videostill aus Steve Reinke / Still from Steve Reinke An Arrow Pointing to a Hole, 2019, Video, Farbe, 27:08 Min / video, color, 27:08 min
Courtesy der Künstler und Galerie / Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin
Foto: © the artist


Bereits als Junge, so will uns der Erzähler glauben machen, hat er sein Unterbewusstsein verloren; seither spricht aus ihm der Chor seines Mikrobioms: „Meine Eingeweide ...Meine Eingeweide summten. Sie summen immer noch, und ich mache meist das, was sie mir sagen.“ 
Hat sich die Prophezeiung erfüllt? Ist das Subjekt Reinke tot? Schwer zu sagen. Definitiv am Leben ist seine Suche nach einer Auflösung der grammatikalischen Fiktion des „Ich“– nach Formen ohne Struktur, ohne Gesicht und ohne Perspektive. Sowohl Reinkes Textbilder als auch seine Stickereien konkretisieren ein solches Begehren nach Formverlust. In der Praxis des Notierens und Kritzelns gründend, stellen sie Bilder dar, die keine Bilder sein wollen, seltsame Hybride zwischen akkurater Ausführung und nebulöser Inhaltlichkeit. Die Zeichnungen von Wörtern und Phrasen beispielsweise, auf denen die Siebdruckserien Portfolio A,B,C,D (2016–2019) basieren, trägt Reinke mit aus einer Pipette tropfender Tinte auf. Die schwer zu kontrollierende Farbspur – mehr Malerei denn Schrift – verleiht Formulierungen wie „Amoeba Navigates Labyrinth“ oder „Strong Corpse Weak Ghost“ eine erratische Ausdruckshaftigkeit. 



Ohne Titel (Stickerei) / Untitled (needlepoint), 2017
Garn auf Kunststoffträger / floss on plastic backing, 18,1 x 9,3 cm
Courtesy der Künstler und Galerie / courtesy of the artist and gallery Isabella Bortolozzi, Berlin,
© mumok



Die seit etwa zehn Jahren entstehenden Stickereien sind ähnlich widersprüchliche Objekte: „wirklich langsame, arbeitsintensive Kritzeleien“, wie der Künstler es formuliert. Reinke fertigt sie ohne Plan oder Absicht an, eine Farbe folgt auf die andere, Muster entstehen und werden wieder aufgegeben. Das Resultat sind seltsam unschuldige, quasiabstrakte Objekte, deren Rückseiten nicht weniger wichtig sind als ihre Vorderseiten und die keine Funktion haben, außer getötete Zeit anzuzeigen. 



Ohne Titel (Stickerei) / Untitled (needlepoint), 2017
Garn auf Kunststoffträger / floss on plastic backing, 11,7 x 14,9 cm
Courtesy der Künstler und Galerie / courtesy of the artist and gallery Isabella Bortolozzi, Berlin,
© mumok



Zur Ausstellung erscheint die erste Monografie zu Steve Reinkes Werk im deutschsprachigen Raum und die erste Publikation, die neben seinen Videoarbeiten auch die Textbilder und Stickereien des Künstlers in den Blick nimmt. Neben einem Vorwort der Kuratorin enthält das Buch Beiträge von Laura U.Marks, Jaakko Pallasvuo, Kerstin Stakemeier und Samo Tomšič sowie von Reinke selbst. Wir danken der Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, und dem Alice Kaplan Institute of Humanities an der Northwestern University, Evanston, Illinois, für die Unterstützung der Publikation.
Kuratiert von Manuela Ammer 


Ausstellungsansicht/Exhibition view
Steve Reinke. Butter
6. März bis 26.Oktober 2020
Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin
Photo: Stephan Wyckoff, ©mumok


"Steve Reinke - Butter"

mumok
Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
MuseumsQuartier
Museumsplatz 1
1070 Wien



Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Sonntag: 10:00–18:00


Eintrittspreise:

Normal: € 13,–

Jahreskarte: € 29,–

U 27 Jahreskarte: € 15,–
Für alle unter 27 Jahre
Ermäßigungen

Gruppen ab 10 Personen: € 10,50

Ermäßigt: € 9,50
Menschen mit besonderen Bedürfnissen (mit Ausweis), Senior_innen ab 65 Jahren oder mit Senior_innenausweis

Ermäßigt: € 9,50
Studierende unter 27 Jahre, Zivil-/Präsenzdienstleistende, Arbeitslose


Mehr Informationen unter:
www.mumok.at/de/events/steve-reinke